"Ich kann den Bedarf verschieben"
/Das Wort „Dunkelflaute“ vermeidet Klaus Kuhnke am liebsten. „Ich halte es für einen ,Kampfbegriff‘ der Gegner der Energiewende“, begründet der Professor im Ruhestand. Mit dem Ausdruck soll darauf hingewiesen werden, dass regenerative Energieträger nicht ausreichen würden, wenn die Sonne nicht scheint und es gleichzeitig windstill ist, etwa im Winter. Skeptiker der Energiewende führten diesen Zustand gerne an, um „die ganze Energiewende in Misskredit zu bringen“, gibt Kuhnke, ehemaliger Lehrender für Erneuerbare Energien und Physik an der Hochschule Osnabrück, zu bedenken. „Denn dann kann man wind- und strahlungsarme Zeiten als ein Argument gegen die Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien benutzen. Was ich dagegen halte: Diese Zeiten sind kurz, und man kann sie überbrücken!“
Es ist ein „Schreckgespenst“ vieler Kritiker der Energiewende: Sind „Erneuerbare“ in der Lage, uns ganzjährig mit Energie zu versorgen, wenn die Sonne weniger scheint und es gleichsam windstill ist? Wenn also eine sogenannte „Dunkelflaute“ eingetreten ist? Immerhin, betont auch Klaus Kuhnke, spielen Solar- und Windkraft die entscheidendste Rolle beim Umstieg von „fossil“ zu „regenerativ“: „Sie sind die ,Arbeitspferde‘ unserer Energiewende.“ Und diese könnten uns seiner Ansicht nach vollständig versorgen.
Generell gelinge dies deswegen, weil Sonne und Wind sich über das Jahr sehr gut ergänzten: „Im Winter haben wir mehr Wind und weniger Sonne. Und im Sommer haben wir ganz klar mehr Sonne und weniger Wind“, führt Kuhnke aus. Wetterstationen bestätigten dies. Der Zeitraum von „Dunkelflauten“ beschränke sich allenfalls auf ein paar Tage bis wenige Wochen. „Das sind Wetterperioden, in denen diese Ergänzung von Sonne und Wind nicht gut klappt. Also reden wir über kurze Zeiträume“, erläutert der Diplom-Physiker.
Diese zu überbrücken, sei jedoch gar keine große Herausforderung. Man müsse sich Energie aus Erneuerbaren „zur Seite legen“. Es gebe Speichermöglichkeiten, durch welche dies funktioniert. Da wären etwa technische Optionen – Batterien zum Beispiel. Diese Speichermethode sei jedoch derzeit eher in einem geringfügigen Maßstab praktikabel. „Das gelingt nur in kleinen Mengen, nicht für eine ganze Volkswirtschaft über eine Woche oder zwei“, schränkt Klaus Kuhnke ein. Wenngleich die Forschung aber schon sehr weit sei mit der Entwicklung neuer Technologien, wie etwa die „Redox-Flow-Batterie“ eine ist. Diese „Nasszelle“ speichert in Tanks elektrische Energie in chemischen Verbindungen. „Diese Batterien könnten in der Zukunft noch sehr interessant sein“, hebt Kuhnke hervor.
Doch wie kommen wir durch die dunklen Wochen? Speichern bedeute letztlich, Angebot und Nachfrage zeitlich gegeneinander zu verschieben, wirft der Spezialist für Energietechnik ein. „Da gibt es also zudem die Möglichkeit, an der Nachfrage zu ,drehen‘. Das nennt man ,Demand-Side-Management‘.“ Unter diesem „Lastmanagement“ versteht man die Steuerung der Stromnachfrage durch Ab- und Zuschalten, wodurch ein Ausgleich geschaffen werden kann. „Im ,Kleinen‘ würde das so gehen, dass ich meine Wasch- oder Geschirrspülmaschine – also richtig große Wärme- und Stromverbraucher – einschalte, wenn die Sonne scheint“, verdeutlicht Kuhnke, „und ich kann den Bedarf verschieben: Ich kann meine Geschirrspülmaschine eben auch uneingeschaltet lassen und die schmutzigen Socken noch einen Tag ungewaschen lassen.“ Der Stromverbrauch wird somit zeitlich verschoben.
„Diese Bedarfsverschiebung ist ebenso im großen Maßstab denkbar. Man kann auf der Verbraucherseite gerade bei der stromintensiven Industrie schon eine Menge drehen, und das kostet weit weniger als entsprechende Speicher zu bauen“, unterstreicht der Experte. „Man kann zu jeder nennenswert stromverbrauchenden Industrie sagen: ,Was kostet es euch, einen Tag oder eine Woche abzuschalten?‘“ Es gehe bei der „Dunkelflaute“ schließlich nur um einen kurzen Zeitraum. „Und da kämen wir dann auf diese Weise schon ganz gut durch. Der Verbrauch lässt sich immer ein bisschen steuern. Alle Industriebetriebe könnten das im großen Maßstab“, ist Kuhnke überzeugt.
Biomasseheizkraftwerke – wie auch MANN eines einsetzt – seien ebenfalls ein sinnvolles Instrument, um Energie zu speichern. Denn sie erzeugen durch das Verfeuern von fester Biomasse – wie etwa Holz – elektrische Energie. Auch Biogasanlagen könne man flexibel betreiben. „Diese Technik ist bekannt und wird heute schon eingesetzt. Das kann man weiter vorantreiben“, ergänzt der Professor im Ruhestand.
Eine häufig diskutierte Strategie ist zudem die „Vehicle-to-grid“-Technologie, bei welcher der Elektrowagen als zeitweiliger Speicher dient: E-Autos, die „bidirektional“ ladefähig sind, können die in der Fahrzeugbatterie gespeicherte Energie bei hohem Bedarf zurück ins Netz speisen. So kann ein Stromengpass ausgeglichen werden. Dieser Weg sei zwar fortschrittlich, jedoch nicht „für den großen Maßstab“ geeignet, findet Klaus Kuhnke. „Das ist absolut sinnvoll, aber damit kommen wir nicht durch die wind- und strahlungsarmen Tage.“
Erstaunlich findet er, dass viele Menschen scheinbar eine perfekte Lösung darin sehen, mit Öko-Strom Wasserstoff zu erzeugen, also einen synthetischen „grünen“ Energieträger. „Aber man darf nicht vergessen: Wasserstoff muss man erst einmal ,machen‘. Und dabei geht leider sehr viel Energie verloren“, entgegnet der Physiker. Und zwar über die ganze Energiekette: Wird Wasserstoff erzeugt, führt dies zu Energieverlust. Ebenso, wenn aus dem Wasserstoff noch Methan hergestellt wird, welches chemisch mit Erdgas identisch ist. Wird der Energiespeicher in einem Gaskraftwerk verheizt, um wiederum Strom zu erzeugen, verliere man abermals Energie. „Diese Wirkungsgradketten, diese riesigen Verluste und ,Mini-Energiemengen‘, die man da am Ende herauskriegt, die macht man sich in der öffentlichen Diskussion selten klar“, hat Klaus Kuhnke festgestellt.
Generell sei es aber notwendig und sinnvoll, über viele verschiedene Ansätze nachzudenken – und dabei auch unkonventionellere Strategien nicht auszuschließen. Was spräche etwa dagegen, wirft Kuhnke ein, Trecker und Nutzfahrzeuge mit großen Generatoren auszustatten? „So könnten doch Landwirte, wenn wir Wind und Sonne zu wenig haben, diese Trecker ,anschmeißen‘ – an jedem ein Generator von, sagen wir, 50 Kilowatt –, und dieser Strom wird dann ins Netz eingespeist. Und die Landwirte werden dafür natürlich belohnt. Der Trecker steht im Winter doch sowieso nur rum“, stellt Kuhnke eine Idee vor. „Auch solche Möglichkeiten gibt es, und die können uns sehr weit bringen.“
Tatsächlich bestehe also keinerlei Anlass zur Beunruhigung, resümiert der ehemalige Professor der Hochschule Osnabrück. „Die Forschung geht weiter, da gibt es Grund zur frohen Erwartung.“ Und die sogenannte „Dunkelflaute“ könnten wir sogar heute schon überbrücken.
Andra de Wit