Eine Unterschrift – das war es

„Die grünen hier sind bereits angeschlossen.“ Markus Mann klickt auf dem Bildschirm vor sich auf verschiedenfarbige Flächen in einer von der zuständigen Kommunalverwaltung im Internet zur Verfügung gestellten digitalen Karte. Sie zeigt den Schweizer Ort Anzère. Die grünen Konturen, auf denen Mann herumklickt, bilden maßstabsgerecht jene Gebäude ab, die in Anzère mittels des von der „Chauffage Bois Energie Anzère SA“ betriebenen Fernwärmenetzes beheizt werden. „Und wenn ich zum Beispiel wissen will, wo die Leitungen liegen, klicke ich ‚Leitungen‘ an und sehe das Wärmenetz“, fährt der Unternehmer fort.

Die Gemeinde Ayent erstreckt sich von der Rhône-Ebene bis zum 3.248 Meter hohen Wildhorn in den Berner Alpen. Foto: „MANN Naturenergie“

Tatsächlich wird auf Knopfdruck jedes einzelne Rohr im Dorf dargestellt, die Anschlusswerte in Kilowatt werden direkt mitgeliefert. Ebenso ist die Lage von Absperrventilen sichtbar: „Total praktisch“, kommentiert Markus Mann, „da muss ein Bauunternehmer, wenn er versehentlich mal eine Leitung anbaggert, nur schnell auf dem Smartphone schauen, wo er zudrehen muss.“

Wenn man besser verstehen möchte, wieso „MANN Naturenergie“ – ein ausgesprochen stark mit seiner Heimat, dem Westerwald, verbundenes Unternehmen – sich in einem 700 Kilometer entfernten Bergdorf in den Waliser Alpen um die Heizung für mehr als 100 Wärmeabnehmer kümmert, muss man in der 100-jährigen Firmengeschichte von MANN einige Jahrzehnte zurückblicken. Ende der 1960er-Jahre wollten Kurt Mann, der Vater des heutigen Geschäftsführers Markus Mann und damals Chef des Familienunternehmens, und seine Frau eine kleine Wohnung in Oberstdorf kaufen. „Meine Eltern dachten sich, dass das für den Winterurlaub doch toll wäre“, erzählt der Sohn heute. „Mein Opa aber riet ihnen – in Zeiten des Kalten Kriegs: ‚Nein, kauft euch besser etwas in der Schweiz – da gehen die Russen nicht hin!‘ Das heißt, wenn mein Opa keine Angst vor den Russen gehabt hätte, dann wären wir als Unternehmen vermutlich heute nicht in der Schweiz“, lacht Mann.

Ende der 1960er-Jahre war es für Kurt Mann noch ausgesprochen günstig, in den Walliser Alpen zu investieren und sich eine kleine Bleibe für die Ferien zuzulegen. Das zur Gemeinde Ayent gehörende Anzère bestand bis 1960 lediglich aus fünf einfachen Berghütten! Erst in den Folgejahren wurde der heute von knapp 900 Menschen bewohnte Ort allmählich aufgebaut; die örtliche Post entstand 1967, die Apotheke, ein Souvenirgeschäft und der Sessellift „Les Rousses“ folgten 1970 bis 1971. Die jüngste Liftanlage „Les Luys“ ging gar erst 2020 in Betrieb. Für Urlauber stehen in Anzère allerdings inzwischen etwa 8.000 Gästebetten zur Verfügung.

„Wir haben 1971 den ersten Winterurlaub dort verbracht“, erinnert sich Markus Mann, damals vier Jahre alt. „Irgendwann, Anfang der 2000er-Jahre, hat die Eigentümergemeinschaft des Gebäudes, in dem sich unsere Ferienwohnung befindet, darüber diskutiert, die alte Ölheizung auszutauschen – und eine neue einzubauen!“ Markus Mann ging „natürlich auf die Barrikaden“, wie er sagt, „wir installieren doch keine neue Ölheizung! Habt ihr denn noch nichts von Holzpellets gehört?“, so entgegnete er der Eigentümerversammlung. Die fand den Ansatz interessant und bat Mann, die Alternative einer Pelletheizung aufzuzeigen.

Trotz der geringen Gemeindegröße, ist Ayent digital gut aufgestellt. Auf Knopfdruck sind Katasterdaten inklusive aller Leitungen einsehbar. Bitte klicken Sie START, um ein ausführliches Video-Interview mit Markus Mann zu dessen Erfahrungen mit der Schweizer Verwaltung zu sehen. Foto: Schmalenbach

Mit der Erfahrung vom „MANN-Naturenergie“-Kraftwerk in Langenbach sowie von einem ersten Contracting-Projekt machte sich der Grünstrompionier ans Werk, arbeitete 2006/2007 einen Vorschlag für den Schweizer Ferienort aus. Die großen, zentralen Gebäude sollten an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden und von einer mit Pellets gefeuerten Heizzentrale versorgt werden.

Zwar brauchten die Eigentümer noch eine Weile, um eine endgültige Entscheidung zu treffen. Als die jedoch im zweiten Halbjahr 2009 feststand, Mann daraufhin im Herbst desselben Jahres einen Bauantrag bei den zuständigen eidgenössischen Stellen stellte, begann seine Erfahrung mit der aus deutscher Sicht wohl rekordverdächtigen Geschwindigkeit, mit der in der Schweiz Projekte realisiert werden können und die Behörden arbeiten.

„Schon im Frühjahr 2010 bekamen wir die Baugenehmigung für ein 2,2 Kilometer langes Wärmenetz mitten durch den Ort! Auch für die Heizanlagen – nach deutschem Recht wäre es eine ‚BImSch‘-Einrichtung, die unter die Verordnungen des komplexen Bundes-Immissionsschutzgesetzes fällt – hatten wir bereits im Frühjahr die Baugenehmigung“, schildert Markus Mann. „Es gab noch eine Rückfrage wegen der Schornsteinhöhenberechnung – das war’s. Und im Herbst 2010 haben wir in der Schweiz bereits die ersten zwei Großgebäude beheizt!“

Für den Westerwälder wurde der Lieblingsurlaubsort zwischenzeitlich auch zum Arbeitsort: „Wenn man heute bei winterlichem Wetter über den Dorfplatz geht und bei irgendjemandem ist das Schlafzimmer kalt, dann meint der schnell, dass das wohl an der Heizzentrale liegen muss, aber nicht an seinem eigenen Thermostat, das vielleicht klemmt oder so“, schmunzelt Mann.

Wie auch immer: Den Unternehmer fasziniert, wie pragmatisch die Schweizer Verwaltung die Vorhaben der Schweizer Tochter von „MANN Naturenergie“ stets begleitet hat. Die Heizzentrale und das Wärmenetz wurden seit der Inbetriebnahme mehrfach erweitert, zuletzt durch die Installation einer bemerkenswerten Photovoltaikanlage am Heizhaus (siehe „Ökostrom statt Werbung“). Und auch im noch jungen 2025 wird der Ausbau des Wärmenetzes in Anzère fortgeführt werden, weitere Gebäude sollen daran angeschlossen werden.

Bereits damals, beim Bau des ursprünglichen Heizhauses anno 2010, verblüfften die Schweizer mit ihrem Tempo. Foto: „MANN Naturenergie“

„Wie gut oder schnell es mit den öffentlichen Stellen funktioniert, da haben wir bei uns sogar schon Unterschiede von Landkreis zu Landkreis“, antwortet Markus Mann auf die Frage, worin sich die Realisierung neuer Vorhaben in der Schweiz von der in Deutschland nach seiner Beobachtung unterscheide. „Was mir positiv in der Schweiz aufgefallen ist: Bereits 2009 war man dort mit der Digitalisierung schon sehr weit! Ich habe damals einmal – digital – meine Unterschrift beim Architekten hinterlassen, und ich bin seither nicht mehr aufgefordert worden, nochmal auf Zeichnungen, auf der siebten Durchschrift eines Dokumentes und hintendrauf nochmal querzuzeichnen. Ich habe den Datensatz einmal in 2009 übergeben – und seitdem bin ich als Präsident der ‚Chauffage Bois Energie Anzère‘, die die Heizzentrale in der Schweiz betreibt, nicht mehr beansprucht worden.“

Wie anders da die Erfahrungen mit der Westerwälder Heimat: „Für eine kleine, zweieinhalbtausend Quadratmeter große Fläche an der Rosenheimer Lay, die befestigt werden soll, habe ich an einem Samstagmorgen eine Dreiviertelstunde lang nur auf zig Seiten Unterlagen unterschreiben müssen. Das weiß ich noch genau. Und habe aufgepasst, dass ich bloß keine Stelle verpasse, die gezeichnet werden muss – sonst kriegt man die Unterlagen wegen Unvollständigkeit zurück. So etwas habe ich in der Schweiz noch gar nicht erlebt.“

Dafür erlebt der Westerwälder Unternehmer wieder und wieder, wie pragmatisch Ideen von den Eidgenossen umgesetzt werden. „Wir haben der Gemeinde Ayent den Vorschlag gemacht, eine Möglichkeit zu schaffen, dass man Fotos von einer Baustelle in deren Portal hochladen kann, wenn man für Projekte ohnehin dauernd irgendwo am Graben ist und die Straße aufreißt. Damit in zehn, 15 Jahren jemand, der in der Nähe buddeln will, sich vorab einen optischen Eindruck verschaffen kann“, erklärt Mann.

So unterbreitete er der Verwaltung den Gedanken vor rund sechs Monaten. „Und vor drei Monaten hatten die für das gesamte Wallis die Umsetzung der Idee bereits scharfgeschaltet! Wer jetzt graben will, kann darauf zugreifen und schauen, wie es da aussieht. Abwasser, Frischwasser, EDV-Leitungen, alles liegt im Boden – und alles kann man sich auf den Bildern ansehen. Total praktisch gelöst!“

Markus Mann klickt noch etwas mehr im „digitalen Kataster“ der Eidgenossen herum, in dem er eingangs die grünen Flächen gezeigt hatte, die für ans Pellet-Wärmenetz angeschlossene Gebäude stehen. Auch Solaranlagen auf Hausdächern oder an Fassaden sind in der digitalen Karte verzeichnet. Klickt er auf eine Parzelle, wird direkt deren Eigentümer ausgewiesen.

„Will ein Eigentümer einmal nicht genannt werden, ist er verpflichtet, jemanden zu benennen, der sich ums Grundstück kümmert. Das macht es natürlich einfach“, betont Mann. „Wenn wir jetzt eine Planung haben und wollen ein weiteres Haus ans Wärmenetz anschließen, kann ich mit dem System messen, wie lang die Leistung sein muss, wie die Beschaffenheit des Geländes aussieht und vieles mehr.“

Im Video-Interview berichtet Markus Mann von seinen Erfahrungen in der Schweiz.

Der Westerwälder beschreibt, dass solche Dinge in seiner Heimat mehr Aufwand bedeuteten: „Wenn ich solche Angaben benötige, muss ich, am besten über einen Notar, beim Katasteramt erst das begründete Interesse nachweisen, damit ich den Ansprechpartner überhaupt erfahren darf. Wir kennen das Geoportal Rheinland-Pfalz, das schon ein Fortschritt ist, aber mir ist nicht bekannt, dass wir hierzulande beispielsweise einfach gucken könnten, welches Telekommunikationsunternehmen hat in dieser oder jener Straße eine Leitung liegen, damit ich verhindern kann, dass ich sie bei Bauarbeiten zerstöre.“ In der Schweiz habe er alle Daten innerhalb eines Nachmittags, sende Screenshots an den Schweizer Bauunternehmer. „Und zwei, drei Stunden später bekomme ich von ihm einen Angebotspreis für mein Vorhaben, 45 Meter zu graben, teils durch Fels, teils durch Wiese, teils durch Straße. Ich weiß, was der Meter Leitung mich kostet und kann dem Kunden meinerseits sofort ein Angebot machen.“

Es ist beinahe eine Schlusspointe, dass die Gemeinde Ayent – sie besteht aus elf Dörfern, darunter eben das besagte Anzère – eher klein ist: Während die Westerwälder Verbandsgemeinde Bad Marienberg, in der die „MANN Naturenergie GmbH & Co. KG“ ihren Sitz hat, 20.262 Einwohner aufweist (Stand Dezember 2023), lebten in Ayent im Februar 2024 lediglich 4.446 Menschen. Hier scheint das Motto „klein, aber fein“ zuzutreffen, sieht man sich den Stand der digitalen Verwaltung einer so kleinen Kommune an.

Dazu passt, was Markus Mann dort jüngst erlebt hat, als er anregte, an der mit der neuen Photovoltaikanlage ausgestatteten Heizzentrale in den Waliser Alpen zusätzlich Ladesäulen für Elektrofahrzeuge aufzustellen. „Das dient doch auch dem Ort und der Ökologie, wenn unser Netzanschluss nicht nur für die Photovoltaik, sondern ebenso für E-Mobilität und Infrastruktur benutzt wird“, begründet er.

So schrieb Mann „einen Dreizeiler an die Gemeinde“, fügte Bilder mit Stellen hinzu, an denen er sich den Standort der Ladesäulen vorstellen könnte. „Dann kam gleich darauf ein Teams-Link (Anm. d. Red.: „Teams“ ist eine von „Microsoft“ betriebene Kommunikationsplattform, über die man unter anderem Videokonferenzen im Internet abwickeln kann) und wir haben kurz besprochen, was ich mir gedacht habe. Als ich zuletzt im vergangenen November wieder nach Anzère gefahren bin, haben die dort doch sogar schon die Parkplatz-Markierungen auf das Pflaster gemalt und ein Schild aufgestellt: ‚Nur für Elektrofahrzeuge‘. Dabei haben wir die Ladesäulen noch gar nicht in der Schweiz installiert…“, schmunzelt Mann.

Uwe Schmalenbach